»Wir orientieren uns bei unserer Preisgestaltung am Marktpreis.« Kaum eine Woche vergeht, in der ich nicht diese Aussage höre. Es wird höchste Zeit, den Marktpreis einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Meine Antwort darauf ist häufig eine schlichte Frage: »Was ist der Preis einer Küche?«. Als Antwort kommt dann schnell nach kurzem Überlegen: Kommt darauf an, welche Art von Küche Du meinst. Genau. Das ist der entscheidendene Punkt. Sollte es einen Marktpreis tatsächlich geben, müssten wir allen voran immer diese Frage beantworten: Für was möchtest Du einen »Marktpreis« finden? Konkret: Was ist der »Marktpreis« einer Website? Kommt auch darauf an, oder?
Was ist der »Marktpreis« eines Logos? Was ist der »Marktpreis« einer Broschüre? Was ist der »Marktpreis« einer Idee? Du siehst den Zusammenhang? Es gibt für all das keine gemeinsame Basis. Wenn schon die Sache, für die ich versuche einen Marktpreis zu finden, unendlich verschiedene Ausprägungen haben kann, dann doch erst Recht der Preis, den Menschen dafür im wechselseitigen Handeln finden. Dennoch ist die Orientierung am angeblichen Markt beziehungsweise am Wettbewerb nach der Zuschlagskalkulation die beliebteste Form der Preisfindung. In fast allen Branchen. So auch bei Kreativen. Gerne natürlich auch in Kombination. Leider jedoch keinesfalls die Beste. Eher die Form mit meist deutlichen negativen Auswirkungen auf den Gewinn.
Jedes Handeln findet zwischen Menschen statt. Jede Situation ist einzigartig. Abhängig vom Zeitpunkt und vom Ort oder von unendlich vielen anderen Faktoren. Jede Situation begründet für den Käufer den Wert, zu dem er diese Sache zu erwerben bereit ist. Aber auch für den Verkäufer gilt jedes Mal die Entscheidung zu treffen, ob es ihm wert ist, zu diesem Preis anzubieten. Oder eben nicht. Beide Seiten müssen den Handel für wert erachten. Und zwar jeweils auf Sicht wertvoller als das Beibehalten des Status-Quo, also dem Nicht-Handeln beziehungsweise wertvoller als die verfügbaren anderen Alternative zu diesem Handel.
Und diese Entscheidung haben beide Seiten zu treffen: Der Anbieter ob er bereit ist für diesen Preis tätig zu werden oder seine begrenzte Kapazität zu einem besseren Preis einem anderen Kunden erfolgreicher zur Verfügung stellen kann. Der Käufer ob er davon überzeugt ist, dass er das Bestmögliche erhält – überraschend oft auch unabhängig von der Höhe eines absoluten Geldbetrages. Vielmehr fließen beim Käufer Faktoren wie Vertrauen und Sicherheitsgefühl zu großen Teilen ebenfalls in die Entscheidung ein. Oder warum rechtfertigen viele Markenprodukte ein deutliches Preis-Premium gegenüber dem möglicherweise vergleichbaren No-Name-Produkt?
Achtung: Bei Preis ist nebenbei nicht immer nur der geldmäßige Preis genannt. Es geht zum Beispiel auch um die oft unsichtbaren Kosten, die beispielsweise aus Anbietersicht eine unbefriedigende Kundenbeziehung in uns und unseren Mitarbeitern verursacht. Wenn man besseres und in jeder Hinsicht Gewinnbringenderes mit seiner knappen Kapazität und Lebenszeit bewirken hätte können …
Der Marktpreis sei eben ein Durchschnittspreis? Durchschnittswerte sind so schön vereinfachend. Sie reduzieren scheinbar die grenzenlose Komplexität unseres Lebens und Tuns. Daher lieben wir sie – und lassen uns zu gerne von ihnen blenden. So können wir leicht in einem See ertrinken, der durchschnittlich 30 Zentimeter tief ist. Denn obwohl der See möglicherweise einen ganzen Quadrathektar nur zehn Zentimeter Tiefe aufweist, wer sagt denn, dass es nicht ein plötzliche Stelle gibt, die 30 Meter bis zur Wasserboden hat und Dir plötzlich den sicher geglaubten Boden unter den Füßen wegzieht. Ich möchte mich darauf nicht verlassen.
Möchtest Du also beim »Marktpreis« einer Website alle Preise zugrunde legen von dem Ein-Euro-Baukasten des Domainhosters bis hinzu der Spezialanfertigung eines führenden Online-Shop-Anbieters? Wo setzt Du Grenzen? Wenn »rechnest« Du ein in die Stichprobe? Wen nicht? Du siehst, abhängig von Deiner subjektiven Auswahl kann dieser vermeintliche Markt-Durchschnittspreis fast jeden Euro-Betrag annehmen. Hör auf, Dich dieser Rechenillusion hinzugeben. Sie führt zu nichts.
Der Marktpreis wird durch Deine Wettbewerber vorgeben? Auch hier basiert es auf der Annahme, dass Du Deine möglichen Wettbewerber erstens vollständig kennst und zweitens Du deren Angebot in dieser konkreten Situation voraussagen kannst. Beides ist nicht möglich. Fast immer sind die Wettbewerber, die Du vor Augen hast vollkommen unabhängig von denen, die Dein Kunde sieht und in Betracht zieht. Spätestens in Pitch-Situationen seien die Wettbewerber bekannt? Mir ist bewusst, dass gerade das Thema Pitches, RFPs (Request for Proposals) und Ausschreibungen hohe Brisanz genießt, daher werde ich in Kürze eine umfangreiche ökonomische Betrachtung hierzu veröffentlichen mit greifbaren Schlussfolgerungen auf Deine Handlungsmöglichkeiten. An dieser Stelle kann ich es nicht vollumfänglich beantworten. Nur so viel: Auch hier führt uns als Anbieter der Gedanke an einen Marktpreis quasi zwangsläufig dazu unter Wert zu verkaufen. Also dem Kunden ein Schnäppchen zu bieten und uns selbst den angemessenen Preis und Gewinn zu verunmöglichen.
Es handelt sich nach meinen verhaltensökonomischen Verständnis bei dem vermeintlichen Marktpreis eher um einen extrem starken Preisanker. Das Konzept der Preisanker wird uns an dieser Stelle noch öfters begegnen: Hier nur soviel. Wir Menschen nehmen eine Zahl unbewusst als Referenzpunkt und vergleichen andere Zahlen intuitiv mit dieser. Die absolute Höhe eines Ankers beeinflusst dementsprechend unser Einschätzung von anderen Zahlen. Kurz: Ist in unserem Kopf der »Marktpreis« einer Website bei 30.000 Euro abgespeichert, erscheint der Preis einer Website von 300.000 Euro als hoch. Schnell sind wir dann schnell mit unserem subjektiven (!) Werturteil, das sei aber teuer bei der Hand. Davor sollten wir uns hüten. So ist nämlich allein dieser jeweiliger Preisanker abhängig davon, in welchem Umfeld wir uns bewegen und mit wem wir uns austauschen. Wie gefährlich vor allem, wenn wir uns mit den Falschen vergleichen, oder? Welche negativen Auswirkungen das auf den Gewinn der Agentur haben kann, wenn wir dies beispielsweise als Agenturinhaber unseren Mitarbeiter »vorleben«? Auch das sprengt in diesem Beitrag den Rahmen: Ich werde die gewinnschädlichen Auswirkungen dieser Glaubenssätze auch bald an dieser Stelle thematisieren und warum wir uns mit aller Kraft dagegen wehren sollten, dass wir unsere Preisgestaltung von irreführenden Glaubenssätzen beeinflussen lassen.
Dramatische Auswirkungen hat das falsche Konzept der Orientierung an Marktpreisen bei Stundensätzen und Tagessätzen. Hier sind die Folgen einer Orientierung besonders weitreichend. Es führt nämlich stets und zwangsläufig zu einer Angleichung zur Mittelmäßigkeit und damit zum verhängnisvollen und leidvollen Unterbietungswettbewerb, den viele sich Tag für Tag ausgesetzt sehen. Unter anderem aus diesem Grund lehne ich Stundenverrechnungssätze und Tagesverrechnungssätze kategorisch ab. In meinem Pricing-Verständnis und in den Wegen, die ich Dir zeigen kann, kommen sie nicht vor. Vielmehr: Ich bin angetreten, alle Kreativen hiervon zu befreien.
Was ist also zu tun? Wir dürfen das falsche Konzept des »Marktpreises« nicht unsere Preisfindung zu unseren ungusten Einfluss nehmen lassen. Das lässt uns zwangsläufig unter Wert verkaufen. Unsere Aufgabe ist es im Vorfeld mit dem Kunden den subjektiv empfundenen Wert einer Zusammenarbeit zu maximieren und dem Kunden die notwendige Sicherheit und das Vertrauen zu geben, dass es gemeinsam gelingen kann, das angestrebte Ergebnis zu erreichen. Auf dieser Basis gelingt es uns ebenfalls zu verstehen, wo die mögliche Preis- und Zahlungsbereitschaft des Kunden liegen kann. Welcher Preis also angemessen erscheint, um das gemeinsame Ergebnis zur wechselseitigen Begeisterung und mit Gewinn für beide Seiten erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Viel zu oft ist das Verstecken hinter dem Marktpreis nämlich lediglich eine Ausrede dafür, nicht verstehen zu wollen, was man mit dem Kunden gemeinsam erreichen kann, wie wir am besten helfen können und was es eben für beide Seiten (!) wert ist, dies auch mit voller Energie und Begeisterung zu unternehmen. Puh. Das ist ja aufwändig. Mit dem Kunden reden? Verstehen? Kommunizieren? Keine Zeit. Muss arbeiten …