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Zeiterfassung – ein notwendiges Übel?

Die Zeiterfassung auf Mitarbeiter und Projektebene ist weder ein vermeintlich notwendiges Übel, noch ein sinnvolles Management-Werkzeug. Ein Kunde handelt nicht mit Dir, weil Du für ihn »Zeitaufwände«, erzeugst, sondern weil er sich durch eine Zusammenarbeit mit Dir nach Abwägung anderer Alternativen eine Verbesserung seiner Situation erwartet. Diese erwartete Verbesserung ist Grundlage seiner subjektiven Bewertung, ob er den von Dir genannten Preis zu zahlen bereit ist – oder nicht. Wird jedoch der Preis über den Zeitaufwand des Anbieters in Verbindung mit einem Stundensatz gerechtfertigt, kommt es zu einem unauflösbaren Interessensgegensatz: Während der Kunde eine schnellere Lieferung vorzieht, unterliegt der Anbieter dem Fehlanreiz möglichst »zeitaufwändig« produzieren zu müssen, denn nur so ließe sich ein höherer Preis rechtfertigen. Dieser Fehlanreiz wird durch den Einsatz einer Zeiterfassung verstärkt: Wo eine Zeiterfassung zum Einsatz kommt, wird von den einzelnen Mitarbeitern explizit oder implizit gefordert, möglichst viele »abrechenbare« Stunden zu »erzeugen«. Der einzelne Mitarbeiter müsse »ausgelastet« sein. Die eigentlich zweckmäßige Suche nach einer Verbesserung des Arbeitsflusses, um schneller zu liefern, erscheint weder für den Einzelnen noch für das Unternehmen als Ganzes lohnenswert. Belohnt hingegen wird Langsamkeit, denn je mehr Zeitaufwand benötigt wird, desto besser – scheinbar – für den Anbieter. In Wahrheit jedoch erzeugt eine dadurch verursachte verlangsamte Lieferung und damit unnötig verlängerte Projektlaufzeiten hohe (unsichtbare) Opportunitätskosten für den Anbieter, da in dieser Zeit keine andere Wertschöpfung erfolgen kann.

Zusammenarbeit besteht nur vordergründig aus einer Aneinanderreihung von einzelnen Tätigkeiten, die man voneinander losgelöst anhand der Zeitaufwände des einzelnen Mitarbeiters »messen« kann. Zusammenarbeit geschieht vielmehr in einem Zusammenspiel von Menschen, die wiederum in Abhängigkeit und Wechselwirkung zu sich und auch der Umwelt in Beziehung stehen. Je mehr Aufgaben beispielsweise gleichzeitig von einem Team zu erledigen sind, desto stärker treten diese Abhängigkeiten und Wechselwirkungen in Erscheinungen, desto reibungsvoller und langsamer wird der Arbeitsfluss als Ganzes. Der Stresspegel steigt. Der Ruf nach zusätzlicher Unterstützung durch neue Mitarbeiter wird lauter und lauter. Jedoch bringt ein zusätzlicher Mitarbeiter unter solchen Voraussetzungen nur bedingt Linderung, denn erstens steigen durch Gehaltszahlungen die Ausgaben, die den Gewinn des Unternehmens zumindest mittelfristig schmälern. Zweitens erhöhen zusätzliche Personen innerhalb einer Organisation den Organisations- und Koordinationsaufwand, was in steigenden Transaktionskosten spürbar wird. Drittens muss auch dieser Mitarbeiter wieder »ausgelastet« werden – in einem System, in dem jedoch bereits alle anderen Mitarbeiter ausgelastet sind, führt dies zwangsläufig wieder zu einer Überlastung, welche anschließend erneut durch den Einsatz von weiteren Mitarbeitern oder Freelancern versucht wird zu kompensieren.

Der Einsatz einer Zeiterfassung beziehungsweise die dahinterliegende Idee, dass Kunden Zeitaufwände kaufen würden, wirkt damit auf mehreren Ebenen gewinnbegrenzend: Stundensatz und Zeitaufwand deckeln den Preis scharf nach oben. Allein dies sollte Grund genug sein, auf Stundensätze zur Preisfindung zu verzichten. Wer die vermeintlichen Zeitaufwände in den Mittelpunkt seines Handelns stellt, in dem er die Mitarbeiter diese »messen« lässt, wird weitreichende negative Anpassungsreaktionen erleben. Der Anreiz, langsamer zu liefern, ist hier nur der Offensichtlichste. Weniger offensichtlich, dabei in Wahrheit noch dramatischer, ist der Fehlanreiz zu einem Wachstum über die Anzahl an Mitarbeitern, in der trügerischen Hoffnung, dass der nächste Mitarbeiter das Problem tendenziell sinkender Gewinnmargen lösen würde … 

Tendenziell sinkende Gewinnmargen verleiten jedoch leider viele Agenturinhaber dazu, die Zeiterfassung noch härter und strenger zu nutzen – man müsse ja sehen, wo man Geld verliert. Da es sich wie oben beschrieben jedoch um eine zwangsläufige Folge genau dieses Denkmodells handelt, erzeugt man dadurch nur eine Verstärkungsspirale der negativen Auswirkungen mit der Folge, dass der Gewinn noch mehr sinken wird. Und die ersten Mitarbeiter frustriert das Unternehmen verlassen.

Veröffentlicht am 5. September 2022 von Markus Hartmann.
Markus Hartmann

Ich schreibe über Preise, Wert und bessere Zusammenarbeit. Im weiteren Sinne über unternehmerisches, menschliches Handeln.

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