Arbeitsteilung und Zusammenarbeit entfalten ihre größten Vorteile gerade dadurch, dass Menschen mit unterschiedlichen Stärken, Fähigkeiten, Begabungen, Wissen und Erfahrungen gemeinsam etwas bewirken, wozu sie alleine nicht oder zumindest nur in begrenztem Maße in der Lage wären. Der komparative Vorteil der Arbeitsteilung besteht darin, dass jemand seine Stärken genau dort einsetzt, wo er für sich und die Gruppe die größte Wirkung entfalten kann. Arbeitsteilung ist ein dynamischer Vorgang, bei dem es weniger auf die unterschiedlichen Fähigkeiten des Einzelnen und deren feste Abgrenzung ankommt, sondern mehr auf deren wirkungsvolles Zusammenspiel. Das vorherrschende Managementweltbild legt den Schwerpunkt in Organisationen jedoch überwiegend auf die Abgrenzung fester Funktionen oder Rollen, was wiederum tendenziell zur Herausbildung von Abteilungen führt. Man erhofft sich dadurch Effizienzvorteile. Dabei wird jedoch die Bedeutung des Zusammenspiels unterschätzt: Das Ganze ist eben nicht die Summe seiner vermeintlich effizienten Teile und Abteilungen.
Wissen ist nicht nur in den Köpfen der (gemeinsam) handelnden Menschen verstreut, es ist vielmehr in deren Körpern gespeichert – und wartet darauf in der gegebenen Situation abgerufen zu werden. Nur ein Bruchteil dieses Wissen lässt sich explizit ausdrücken. Es ist zwar möglich, den Vorgang des Fahrradfahrens zu beschreiben und sogar durch physikalische Gesetze zu erklären. Niemand wird aber allein durch dieses Wissen das Fahrradfahren lernen, geschweige denn Meisterschaft darin erlangen. Dies geht nur durch wiederholte körperliche Übung und Erfahrung. Neben dem Zusammenspiel wird die Bedeutung der Wissensteilung in Organisationen dramatisch unterschätzt. Wissensteilung lässt sich nicht »managen«. Paradoxerweise aber sind es genau die Methoden, die die Arbeitsteilung zu »managen« versuchen, diejenenigen, die ursächlich Wissensteilung erschweren, behindern oder sogar verhindern. Denn hinter diesen Methoden liegt oft die Idee, dass Denken und Handeln (Wissen und Ausführung) getrennt werden müsse, denn nur so würde es besonders effizient.
Agenturen neigen zur funktionalen Abteilungsbildung
In Agenturen ist diese starke Neigung zur funktionalen Abteilungsbildung in diversen Schattierungen – vor allem bei zunehmender Mitarbeiteranzahl – auch zu beobachten. Mit weitreichenden Folgen: Aus dem Zusammenspiel der Wertschöpfung, in dem Arbeitsteilung ein dynamischer Vorgang ist, wird ein zunehmend trennendes, statisches System, das Wertschöpfung behindert. Mit sowohl für Eigentümer als auch Mitarbeitern kostspieligen, tendenziell kapitalverzehrenden und prinzipiell gewinnbegrenzenden Auswirkungen.
Diese Neigung kommt in Agenturen beispielsweise folgendermaßen zum Ausdruck: Bestimmte Personen übernehmen Kundengespräch, Angebot und Preisfindung, während sich andere Personen anschließend um das »Abarbeiten« kümmern. Ein Mitarbeiter, der nicht seiner Funktion entsprechend »abrechenbar« eingesetzt wird, koste schließlich nur, so heißt es dann. So gibt es in vielen Unternehmen irgendwann einen Vertriebler, um dem später vielleicht eine Vertriebsabteilung erwächst. Mit der Aufgabe, sich vorrangig um (neue) Kunden zu bemühen. Oder es gibt Projektmanager, die weitestgehend alleine Angebote erstellen müssen, während ein Team im Hintergrund die Produktion übernimmt. Aber ist dieses Vorgehen zweckmäßig? Ist es wirklich wertschöpfend, wenn einer – um einen traurigerweise viel zu oft gehörten Begriff zu verwenden – vorne »reinkippt« und die anderen anschließend hinten abarbeiten müssen?
Gemeinsam Möglichkeiten und Optionen finden
Neue Möglichkeiten und Optionen entstehen stets mit einem feinen Gespür für Kunden und deren gegenwärtige und künftige Probleme. Es ist vergleichbar mit jenem Vorgang, den ich als unternehmerischen Entdeckungsprozess bezeichne. Dabei ist Wissen, Erfahrung sowie Kenntnisse des konkreten Kundenproblems erforderlich, um die möglichen Handlungsoptionen auf ein überschaubares, verständliches und klares Maß zu bringen und anschließend auch die zur Umsetzungen notwendigen Schritte abwägen und reihen zu können.
Spricht der Entwickler nicht – vorab – mit dem Kunden, kann dieser nicht (frühzeitig) erkennen, dass Ideen aus der »Konzeptionsphase« in eine Sackgasse führen. Oder er kann nicht bemerken, das bestimmte Kundenerwartungen möglicherweise durch einen anderen Weg, der vermutlich keine Sackgasse sein wird, sogar über eine wertvolle (!) Abkürzung erreicht werden könnte. Dieses Wissen ist bereits – vor – der Angebotserstellung notwendig, denn nur so können die richtigen und besten Optionen überhaupt erkannt und angeboten werden. Das »stille Post-Vorgehen« kann das nicht aufdecken. Dies liegt nicht nur an der Tatsache, dass es zu Übertragungsfehlern kommt und jeder Mensch unterschiedliche Wahrnehmungen hat; die Erkenntnis ist viel bedeutsamer: Vertriebler oder Projektleiter für sich alleine können die richtige Frage überhaupt nicht stellen, da sie nicht wissen, dass überhaupt eine solche Frage denkbar ist. Und wer nicht die richtigen Fragen stellen kann, kann auch nicht die richtige Lösung finden. Sie können daher – alleine – nicht das richtige Angebot machen.
Aber nicht jeder Mitarbeiter wolle mit den Kunden sprechen
Zur Rechtfertigung der Trennung von Vertrieb und Produktion wird im Agenturbereich häufig angeführt, dass nicht jeder Mitarbeiter mit dem Kunden reden wolle. Das mag im Einzelfall stimmen. Ich gehe jedoch davon aus, dass jeder Mensch Wirksamkeit erleben will. Und wir erleben vor allem dann Wirksamkeit, wenn wir anderen durch unser Können und Fähigkeiten helfen könne. Vielleicht liegt einfach ein Missverständnis vor: Nämlich, dass ein Kundengespräch vieler Worte bedarf, bei dem man (sich) präsentieren müsse, der Kunde über-zeugt werden müsse und ein Kundengespräche allein durch viel Reden gewonnen werde. Beobachte Dich selbst: Ist nicht die ruhige, Sicherheit ausstrahlende Besonnenheit eines wahren Könners besonders fruchtbar und hilfreich? Jemand, der um sein Wirken und Werken nicht zu viel Aufhebens macht? Ein Könner, der die richtigen Fragen zur Problemlösung zu stellen weiß? Solche Fragen, die er aufgrund seines Könnens überhaupt erst stellen kann?
Im Agenturbereich gibt es keine fertigen Produkte
In Branchen, in denen ein fertiges Produkt bereits erlebbar für den Kunden zur Auswahl steht, scheinen die Vorteile zu überwiegen, dass ein Vertriebler oder ein Projektleiter diese alleine verkaufen könne. Kurzfristig mag das stimmen. Langfristig unterschätzen wir damit die weitreichenden Auswirkungen auf Innovation und Verbesserung, welche wir damit behindern oder sogar verhindern. Das Wissen des Marktes, also das implizite Wissen aus allen Kundenbeziehungen und -handlungen kann so nur schwer nach innen ins Unternehmen fließen. Aber genau dieses Wissen ist zur Erschaffung neuer Produkte und Lösungen erforderlich.
In Agenturen gibt es vor einer konkreten Zusammenarbeit keine fertigen, anfassbaren und damit erlebbaren Produkte. Diese entstehen erst in einem dynamisch-kreativen Prozess – im Zusammenspiel mit dem Kunden und entfalten ihre möglichen Wirkung teils mit gewissem Zeitversatz. Leider verleiten bestimmte Begrifflichkeiten wie »Flyer« oder »Website« zum Fehlschluss, dass sie vermeintlich objektiv vergleichbar seien: So ist jeder Flyer oder jede Website in ihren Auswirkungen verschieden, erfüllen jeweils potenziell andere Erwartungen. Sie sind dienen unterschiedlichen Kunden zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Situationen als unterschiedliche Mittel gänzlich unterschiedlichen Zwecken.
Die Kostenkalkulation ist grundsätzlich mangelhaft
So wie es keine »objektiven« Produkte im Agenturbereich gibt, kann es auch keinen objektiven, allgemeingültigen Wertmaßstab geben – auch wenn dies in der vorherrschenden Kostenkalkulationen mittels Zeitaufwänden und Stundensätzen (fälschlicherweise) angenommen wird. Dies macht die in vielen Agenturen vorherrschende Gewohnheit, dass Vertriebler oder Projektmanager alleine für sich eine sogenannte Kostenkalkulation vornehmen, für das Unternehmen als Ganzes fragwürdig. Zumal diese Form der Preisfindung letztlich meist nur aus folgendem Ritual besteht: Der zuständige Mitarbeiter geht durchs Haus und fragt Kollegen, die meist weder in den Gesprächen mit den Kunden dabei waren, nach etwaigen Zeitaufwänden oder – noch schlimmer – er bestimmt die Zeitaufwände als letztlich völlig willkürliche »Erfahrungswerte«. Da die Zeitaufwandschätzung anschließend noch mit einer Zeiterfassung kontrolliert wird, und damit der schätzende Mitarbeiter Bloßstellung riskiert, sind weitreichenden Anpassungsreaktionen die unmittelbare Folge, die wiederum zu schädliche Anreizproblemen und (wenn auch unbeabsichtigt) zu immensen Fehlsteuerungen führen. Warum beispielsweise sollte ein Mitarbeiter aus einer Abteilung einem Mitarbeiter aus einer Abteilung helfen, wenn er es nicht »buchen« kann, weil die Hilfe in der Zeiterfassung als Kosten verrechnet (!) wird oder gar als abstruse Kennzahl namens Overservice rot aufleuchtet und Sanktionen drohen?
Anreizprobleme mit weitreichenden Folgen
Im vorigen Absatz werden Anreizprobleme angedeutet, die zwischen Vertriebler, Team und Kunde entstehen und aus einem Miteinander ein Gegeneinander machen. Eines der offensichtlicheren sei hier stellvertretend für viele andere genannt: Vertriebler und Projektleiter beziehungsweise – genau so schlimm – Abteilungsleiter werden mitunter am eingespielten Umsatz gemessen, teilweise sogar mittels Fixum und variablem Provisions-Anteil/Bonus. Dies erzeugt sofort und unmittelbar den Interessen der Gruppe gegenläufige Anreize: Nun wird jeder Auftrag, der Umsatz bringt, interessant – unabhängig davon, ob dieser zum Team passt und die Wertschöpfung bestmöglich erbracht werden kann. Preisnachlässe, um Kunden zu ködern, werden ein probates Mittel. Wohlgemerkt: Unterm Strich ergeben zehn Aufträge für jeweils 10.000 Euro in Summe auch 100.000 Euro. Zehn Aufträge verursachen jedoch innerhalb der Organisation deutlich andere Auswirkungen durch Wechselwirkungen und Abhängigkeiten als beispielsweise ein Auftrag für 100.000 Euro. Offener oder verdeckter Widerstand der anderen Mitarbeiter ist zu erwarten. Das Zusammenspiel nimmt Schaden. Die unsichtbaren Kosten sind hoch.
Fazit
Jeder der potentiell mit dem Kunden an einer Problemlösung arbeitet, sollte die Möglichkeit haben, bei den gemeinsamen, vorbereitenden Gesprächen dabei zu sein, um am Ende die Möglichkeiten und Optionen eines möglichen Angebots zu erarbeiten. In der Erwartung, dass – sollte es zu einer Zusammenarbeit kommen – diese auch reibungsloser, kreativer und schneller erfolgen wird, und das erhoffte Ergebnis früher eintritt. So kann ein gemeinsames Problemverständnis entstehen, dass im besten Fall einen Sog der Begeisterung erzeugt, zumindest aber dafür sorgt, dass während der Zusammenarbeit Klarheit entsteht. Um eine ausreichende Klarheit zu erreichen, bedarf es meist mehrerer Gespräche. Das widerspricht dem Glaubenssatz, dass man den Kunden schnell überzeugen müsse, und alle Ein- und Vorwände möglichst schnell zu entkräften habe. Man müsse den »Sack schnell zu machen«, da sonst der Kunde woanders kaufen würde. Natürlich kann passieren, dass sich ein Kunde gegen eine Zusammenarbeit entscheidet: Aber nur wenn wir dem Kunden ausreichend Zeit für eine freie Entscheidung lassen, wird er sich wahrscheinlich für uns entscheiden.