In vielen Agenturen ist ein sogenanntes Projektcontrolling üblich. Vorab geschätzte Zeitaufwände werden im Nachhinein mit den durch eine Zeiterfassung erfassten Zeitaufwänden abgeglichen. Übersteigen diese das geplante (Zeit-)Budget, sei das Projekt nicht »profitabel«. Dies wäre dann womöglich sogar – wie es im englischsprachigen Raum heißt – ein »Over-Service« am Kunden. Die mangelhaften Grundannahmen eines solchen Projektcontrollings werden dabei selten hinterfragt und seine gewinnbegrenzenden und zusammenarbeitsverhindernden Auswirkungen systematisch übersehen.
Es gibt keinen objektiven Maßstab zur Bewertung von menschlichem Handeln: Auch wenn der vermeintlich »messbare« Zeitaufwand scheinbar objektiv wirkt, kommt es doch darauf an, was innerhalb dieser Zeit getan wurde und ob es zum erwarteten Erfolg geführt hat. Damit ist all dies unter anderem abhängig davon, wer etwas tut und welche Erfahrung und Können diese Person in sich vereint. Was dem Einen leicht von der Hand geht, stellt den Anderen vor unlösbare Probleme. Nicht zu unterschätzen ist, dass auch der richtige Zeitpunkt und ein gewisse Portion Glück Anteil an den möglichen Auswirkungen einer Handlung haben. Und worauf ich im Laufe des Textes noch verstärkt kommen werde, dass es auch auf Vor- und Zuarbeiten anderer Menschen ankommt.
Die Messung von Zeitaufwänden stößt in der Praxis auf unzählige Probleme. Hier seien beispielhaft einige besonders folgenreiche Probleme herausgegriffen: Bedient jeder die Zeiterfassung »richtig«? Was heißt überhaupt »richtig«? Führt die Bedienung der Zeiterfassung unter Umständen dazu, dass der kreative Denkprozess oder die wertschöpfende Arbeit unterbrochen und behindert wird? Gerade die Mitarbeiter, die beständig in einer Überlastungssituation sind oder beispielsweise aufgrund ihres besonderen Könnens eine Engpass-Funktion und -Rolle einnehmen, kommen häufig gar nicht dazu, Zeitaufwände zu erfassen – sie wollen ja ihr Tagwerk vollbringen. Wie verlässlich (reliabel) und gültig (valide) können solche »Daten« überhaupt sein, die erst am Ende des Tages, am Ende der Woche oder gar am Ende des Monats nachgetragen werden? Ganz zu schweigen davon, dass vom Einzelnen verlangt wird, zu bewerten, ob etwas »abrechenbar« oder nicht »abrechenbar« oder auf welche »Kostenstelle« etwas zu buchen sei. All dies lenkt von der eigentlichen Wertschöpfung ab.
Die Zeitmessung eines einzelnen Mitarbeiters ist damit schon für sich alleine genommen ein einziger großer »Messfehler«. Das Problem ist aber noch schwerwiegender: Denn wer den Einzelnen »misst«, übersieht das Zusammenarbeit und Arbeitsteilung im Zusammenspiel mit anderen Mitarbeitern geschieht – niemals für sich alleine. Und damit jedes Handeln immer in Abhängigkeit und komplexer Wechselwirkung nicht nur mit anderen Menschen steht, sondern auch abhängt von den Rahmenbedingungen und den Umständen, innerhalb derer gehandelt wird. Natürlich ließe sich der Zeitaufwand eines einzelnen Fußballspieler irgendwie »messen«; die gemessenen Zeitaufwände wären für Torwart und Stürmer jedoch völlig unterschiedlich. Wobei sich hier schon die Frage aufdrängt, welcher Zeitaufwand gemessen werden muss (oder kann): Sind es nur die Zeitaufwände jeder Ballberührung? Oder die Zeitaufwände aller Laufbewegungen? Oder nur die Zeitaufwände, in denen der Spieler eine Schußbewegung ausführt? Oder nur wenn er mit einem gegnerischen Spieler in Kontakt ist?
Das Ergebnis und damit der Erfolg eines Fußballspiels ist nicht vom Zeitaufwand des Einzelnen abhängig. Der Versuch der Messung einer konkreten Handlung, wie sie das Projektcontrolling mittels Zeiterfassung fordert, blendet vollständig aus, was in den Zwischenräumen des Zusammenspiels, im (meist unsichtbaren) informellen Bereich, passiert. So kann ein Torwart den Großteil eines Spiels nach Außen hin untätig bleiben, im entscheidenen Moment muss und wird er bereit sein. Die Zeiterfassung würde ihn damit jedoch als wenig ausgelastet erkennen. Damit hätte er ja »Kapazität« noch in einer zweiten Mannschaft zu spielen. Ein folgenschwerer Fehlschluss. Er wäre nun vermutlich weitaus weniger erfolgreich, wenn er gleichzeitig in zwei verschiedenen Toren und für zwei verschiedene Mannschaften spielen würde. Was im Fußballbeispiel absurd klingt, ist in der Geschäftswelt gängige kaum hinterfragte Praxis (zum Beispiel in der Ressourcenplanung in Agenturen).
Menschen, die arbeitsteilig zusammenarbeiten, sind einerseits auf die Zu- und Vorarbeit von anderen angewiesen, während sie selbst wiederum anderen zu- und vorarbeiten. Ist die für die Arbeit nötige Vorarbeit nicht rechtzeitig erledigt, führt das zu Wartezeiten und Situationen, in denen der unerledigte Vorgang wiederholt aufgegriffen werden muss, um ihn dann wieder – unerledigt – beiseitezulegen. Dies würde in der Zeiterfassung als »Mehraufwand« erscheinen. Dabei ist der »Mehraufwand« nur ein Symptom reibungsvoller Zusammenarbeit. Wer aber nur das Symptom »misst«, blendet die eigentliche Ursache aus. Und wird so kaum eine nachhaltig wirkungsvolle Lösung finden: Denn im Kern geht es darum, Zusammenarbeit bestmöglich und so reibungslos wie nur möglich zu organisieren. Reibungsvolle Zusammenarbeit ist tatsächlich sehr teuer – für das Unternehmen als Ganzes. Dies ist jedoch weniger ein Problem des Einzelnen, sondern vielmehr ein systemisches Problem. Kann der Einzelne die Rahmenbedingungen nicht gestalten, bleibt leider oft nur Schuldzuweisung oder Verbitterung. Bei Mehraufwänden sei dann entweder Mitarbeiter, Team oder Kunde unprofitabel. Eine Nachtrags-Rechnung müsse gestellt werden. Denn man hätte »draufgezahlt«. Ein Irrtum. Verrechnete Kosten, wie sie Stundensätze darstellen, lösen keinen Geldfluss aus. Ob ein Projekt zwei Stunden länger gedauert hat oder nicht, hat keine (!) Auswirkungen auf die Geldmittel eines Unternehmens.
Die Überbetonung des einzelnen Projektes, übersieht dass es im Sinne der Organisation auf das Ganze ankommt. Damit ist das einzelne Projekt in einem steten Fluss mit allen anderen Projekten zu sehen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet streuen alle »gemessenen« Zeitaufwände innerhalb einer weitestgehend festen Spannweite. Unternehmerischen Erfolg an gemessene Zeitaufwände über die Kostenkalkulation mittels Stundensätzen zu koppeln ist allein aus diesem Grund bedenklich – begrenzt dies prinzipiell den möglichen Gewinn einer Organisation scharf nach oben.
Zahlen können keine Werturteile ausdrücken. So ist es unter Umständen wertvoll, jetzt für den Kunden etwas ohne Geldpreis zu tun, in der Erwartung, dass daraus künftig etwas Größeres erwächst. Genau dieses Künftige, das Erwartbare, das Mögliche, bei dem man im Einzelfall auch irren kann, ist nicht messbar. Es ist eine Art Bauchgefühl, für das es keine Prozentwahrscheinlichkeiten gibt. Wie soll dieses Künftige gemessen werden? Gegenwärtiges Handeln kann nur subjektiv aus künftiger Erwartung beurteilt werden. Dieses Handeln ist damit im weiteren Sinne unternehmerisch. Dies geht jedoch mit zunehmender Unternehmensgröße verloren – genau zu dem Zeitpunkt, wenn der rückwärtsgewandte, statische Blick des (Projekt-)Controllings Einzug erhält. Das unternehmerisch-dynamische verschwindet, sobald Werturteile und Abwägungen durch eine zahlenfixierte formelle Struktur zunehmend unterdrückt werden. Die Rufe nach noch mehr Planung, und noch intensiver Kontrolle werden laut. Da Menschen Anpassungskünstler sind, werden sie sich – vordergründig – den Planzahlen unterordnen – oder gehen. Würde ein Torwart anhand einer Effizienz-Quote gemessen, würde dieser vielleicht – um einer Entlassung zu entgehen – über den Platz rennen, um die rote Ampel der Zeiterfassung zu verhindern. Das macht all dies noch tragischer: All die Appelle, die Mitarbeiter zu »mehr« unternehmerischen Handeln bringen sollen, verhallen.