Rückblickend kann ich sagen, dies hat sich schon länger abgezeichnet.
Aber der Reihe nach.
Die Agentur lief gut bislang. Rund zehn Mitarbeiter, einige zufriedene Kunden, mit denen die Zusammenarbeit Spaß macht. Auch die Kundennachfrage zog nach einem sehr langen Sommerloch spätestens seit September wieder an.
Ein großer Auftrag eines weltweit tätigen Konzerns war fast unterschriftsreif. Eine sechsstellige Summe.
Dafür musste der Vertrag nur noch im Dezember finalisiert werden.
Das Geld von diesem Auftrag brauchten wir dringend! Denn auf dem Agenturkonto war kaum noch Geld vorhanden.
Ich hatte lange die Augen davor verschlossen. Ich war Meister darin, die Signale zu verdrängen. Eigentlich war mir das spätestens Mitte September klar: Das Geld reicht nicht mehr lange.
Die Kosten des Agenturwachstums waren viel schneller gestiegen, als die Einnahmen. Miete, Gehälter, laufende Ausgaben. Von Monat zu Monat wurde es enger.
Mir fehlten Zehntausende Euro, die für die November-Gehälter und alle anderen Ausgaben fällig wurden. Meine privaten Mittel waren bis auf den letzten Euro aufgebraucht. Das Konto rot! Ein Anruf bei der Bank mit Bitte um einen kurzfristigen Kredit ernüchternd.
Die letzten Wochen war ich zunehmend gereizt. In den Nächten lag ich schlaflos und hatte Gedankenkreisen. Scham, Angst, Versagensgefühle – alles auf einmal.
Wie sollte ich meinen Mitarbeitern erklären, dass ich sie nicht bezahlen konnte?
Was würde überhaupt passieren, wenn der Auftrag nicht käme?
Was würde passieren, wenn ich »insolvent« wäre?
Dann kam der Moment. Ich setzte mich mit den Mitarbeitern zusammen und sprach die Wahrheit aus: »Ich kann die Gehälter für November nicht zahlen.«
Ich erklärte die wirtschaftliche Situation und versuchte aber auf der anderen Seite einen optimistischen Ausblick zu geben.
Aber was dann geschah, hat mich tief bewegt. Das Team war bereit, weiterzumachen, weil sie an das glaubten, was wir aufgebaut hatten. Ihre Loyalität hat uns durch diesen November gebracht.
Diese Geschichte ist mir in meiner damaligen Agentur im November 2011 passiert. Heute vor dreizehn Jahren.
Und der Vertrag? Er wurde im Dezember unterschrieben. Die Agentur hat überlebt. 2013 habe ich sie verkauft.
Aber die Lehren aus dieser Erfahrung sind geblieben: Wie wichtig es ist, frühzeitig hinzusehen. Und sich nicht in die Tasche zu lügen über seine eigene Lage.
Es stimmt, Unternehmer brauchen Optimismus, Wagemut, kalkulierte Risikofreude und auch die Bereitschaft zu investieren. Aber wohlüberlegt und mit Wachsamkeit.
Damals habe ich gelernt, dass Wachstum nicht nur durch »Mehr« bedeutet – mehr Mitarbeiter, mehr Umsatz, mehr Projekte.
Es braucht Stabilität, finanzielle Reichweite und ein Team, das mit Herz dabei ist.
Und wie wichtig es ist, an seinem eigenen Unternehmersein zu arbeiten, wie es Stefan Merath lehrt.