Spätestens seit 2019 werde ich regelmäßig darauf angesprochen, dass eine Arbeitszeiterfassung nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verpflichtend sei. Jetzt wurde durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt entschieden: In Deutschland besteht eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Dies möchte ich an dieser Stelle kommentieren.
Wenn ich von Zeiterfassung in Agenturen spreche, meine ich stets und ausschließlich die projekt- und tätigkeitsbezogene Zeiterfassung zum Zwecke des Controllings, der stundenbasierten Abrechnung sowie der Planung und Steuerung zum Beispiel für eine Ressourcenplanung, für die Unternehmensführung und das Projektmanagement. Und eben nicht die Arbeitszeiterfassung, um etwaige Überstunden eines Mitarbeiters anhand seines jeweiligen Arbeitsvertrages oder etwaiger gesetzlicher Regelungen zu überwachen und zu kontrollieren. Ich meine also ausdrücklich nicht das, was umgangssprachlich als Stechuhr« oder »Stempeluhr« bezeichnet wird. Sprich: Das »Einstempeln« beim meist morgendlichen Arbeitsbeginn und das abschließende »Ausstempeln« meist am sogenannten Feierabend oder auch bei Arbeitspausen. Auch wenn der Begriff »Zeiterfassung« umgangssprachlich für beide Fälle zur Anwendung kommt, waren dies bislang zwei grundverschiedene Bereiche, und werden dies auch weiterhin bleiben.
Das Weglassen der projekt- und tätigkeitsbezogenen Zeiterfassung bleibt unerlässlich, um für den aus Kundensicht geschaffenen Wert angemessene Preise zu finden. Preise, die sich nicht am vermeintlichen Zeitaufwand des Anbieters orientieren. Und auch um den weitreichenden negativen Auswirkungen zu entgehen, die das Zeitaufwandscontrolling in Bezug auf Zusammenarbeit und Wertschöpfung verursacht. Die in dem Urteil geforderte Arbeitszeiterfassung ist damit ausdrücklich nicht gemeint.
Wer jedoch versteht, dass Wert sich eben nicht durch den in eine Sache hineingeflossenen Arbeitsaufwand begründet, wird in obigem Urteil dennoch nichts Gutes erkennen. Der Wert eines Diamanten entsteht nicht durch die Zeit, die es für das Schürfen gebraucht hat. Wäre dies so, wäre der Erdklumpen, der direkt neben Diamanten unter gleicher Mühe ans Tageslicht gebracht wurde, ebenso wertvoll. Dies ist aber offensichtlich absurd. Allein, dass es andere Menschen gibt, die diesen Diamanten wertschätzen, begründet den Wert und den Preis. Anders gesagt: Wer allein den Arbeitsaufwand betrachtet, bleibt für den wirklichen Wert blind.
Es bleibt abzuwarten, welche Folgen dieses Urteil in seiner möglichen Ausgestaltung für Unternehmen hat. Eines ist jedoch schon jetzt gewiss: Es ist eine weitere – wie auch immer diese auch gerechtfertigt sein mag – bürokratische Erschwernis, die gemeinsame Wertschöpfung innerhalb eines Unternehmen für Kunden behindert und erschwert. Und damit die bereits schon sehr hohen Compliance-Kosten innerhalb eines Unternehmen noch weiter in die Höhe treiben wird. Und so letztlich unterm Strich für alle im Unternehmen arbeitenden Menschen gewinnbegrenzend wirkt.
Die Frage stellt sich: welche Motivation steckt hinter der "Stechuhr" – einmal geht es ums Misstrauen dem Arbeitnehmer gegenüber. Das Menschenbild ist: wenn ich nicht kontrolliere, dann sind alle faul und tun nichts oder nicht genug. Zum Anderen steckt das Menschenbild dahinter, dass Unternehmer:innen alle "Angestellten" ausnutzen wollen und mehr als vereinbart einfordern. Beides ist für ein wertschätzendes Miteinander keine Basis – drum ist so ein Gesetz schädlich und ich lehne es ab.